Nur die wenigsten Amateure im Bogensport, oder mit dem Bogen Jagende, haben ein tiefergreifendes Wissen über die Sehnen und Steuerkabeln (beim Compoundbogen) an ihren Bögen. „Bei harter Beanspruchung sollte einmal im Jahr die Sehne gewechselt werden, wenn sie recht ausgefranst ist auch schon früher“. Das ist es, was ich normalerweise höre, wenn ich bei den Schützen nachfrage. Recht viel mehr kommt dann aber meistens nicht mehr. In diesem Artikel gebe ich deshalb einen Überblick, worauf es dabei ankommt.
Was macht eine gute Sehne aus?
Sie muss den Belastungen der Spann- und Entspannungszyklen so lange wie möglich standhalten. Dabei sollte sie in den aktiven Vorgängen bis zu einem gewissen Maß elastisch sein und bei Rückkehr in den Ruhezustand verlässlich wieder ihre ursprüngliche Länge annehmen. Unempfindlichkeit gegen äußere Witterungseinflüsse und mechanische Belastungen wie Reibung oder scharfkantige Gegenstände sowie ein gewisses Maß an einfacher Verarbeitbarkeit sind ebenfalls positive Eigenschaften guten Sehnenmaterials.
Bei den traditionellen Bögen und bei Compoundbögen müssen prinzipiell unterschiedliche Sehnentypen verbaut werden, da diese auch unterschiedliche Anforderungen an diese haben. Recurvebögen und Langbögen benötigen eine eher elastische Sehne. Bei höheren Zuggewichten kommt eine sehr starke Belastung auf die Wurfarmspitzen, an denen die Sehne befestigt ist, und diese können brechen. Deshalb ist eine traditionelle Sehne flexibler in der Dehnung unter hoher Last, als die Sehne eines Compoundbogens. Sie muss die Wurfarmspitzen mehr entlasten. Genau an den Wurfarmspitzen kommt eine weitere Belastung auf die Sehne von traditionellen Bögen. Dort ist der einzige Berührungspunkt mit dem Bogen und genau dort gibt es Reibung beim Aufziehen und Ablassen der Sehne. Deshalb müssen die Befestigungsschlaufen (end-loops) stärker gewickelt werden und sind idealerweise noch durch eine zusätzliche Schutzwickelung (serving) ummantelt.
Bei Compoundbögen gibt es andere Belastungen der Sehne. Eine große Herausforderung ist, dass die in die Sehne eingebundene Zielhilfe (peep) im gesamten Auszugsvorgang seine Position und Drehung in der Sehne beibehält, oder zumindest nach dem vollständigen Aufziehen (full draw) in der gewünschten Position und Winkel genau vor dem Auge des Schützen zu stehen kommt. Die Belastung der Sehnen sind bei traditionellen Bögen und bei Compoundbögen sehr unterschiedlich. Bei Traditionellen wirkt eine progressive Belastung, die im Vollauszug ihren Höhepunkt erreicht (je weiter der Bogen gespannt wird, umso höher ist die Belastung der Sehne).
Beim Compoundbogen sieht das ganz anders aus. Dieser erreicht in der Regel bei spätestens der Hälfte des Aufzugsweges (draw circle) bereits seine höchste Belastung, hält diese über den weiteren Aufzugsweg bei und kommt kurz vor dem mechanischen Anschlag (wall) durch die Bauart der Spannrollen (cams) in eine degressive Belastung, die bei modernen Bögen 75 bis 90% der Spitzenbelastung betragen kann. Sehen wir uns das anhand eines Beispiels an. Die Belastung der Sehne in Ruhe beträgt nur ein paar Pfund (lbs). Ab dem Aufziehen steigt diese innerhalb eines recht kurzen Weges sehr schnell auf beispielsweise 70 lbs und behält diese Belastung bis zum Erreichen des Entlastungsbereiches (valey) bei. Dann sinkt die Belastung ruckartig von 70 lbs auf 7 lbs (90% Entlastung). Das war es aber noch nicht ganz, denn beim Lösen der Sehne wiederholt sich dieser Vorgang in umgekehrter Reihenfolge, diesmal aber im Bruchteil einer Sekunde und mit einer schlagartigen Abbremsung.
Um diesen gewaltigen Beanspruchungen standzuhalten, ist die Wahl des richtigen Sehnenmaterials (natürlich auch für die Steuerkabel) von großer Bedeutung. Heute kommt dafür meist ein Mix (Composit) von Stränge aus Dynema (dynamisch) und Vectran (statisch) zum Einsatz. Die Mischung beträgt meist um die 75% statische und 25% dynamische Anteile. Der dynamische Anteil ist dem Umstand geschuldet, dass auch der Compoundbogen, ähnlich wie die traditionellen Bögen, eine weniger aber doch dämpfende Sehne braucht. Damit werden die Achsen und Kugellager der Bögen geschont.
Auf das Sehnenmaterial früherer Zeiten möchte ich in diesem Artikel nicht eingehen, das würde uns zu weit führen und hat eher für Traditionalisten oder Reenactment-Freunde Bedeutung. Hier behandle ich nur modernes Sehnenmaterial.
Heute bestehen alle modernen Sehnen aus Kunstfasern. Die meisten davon benötigen eine regelmäßige Pflege durch Sehnenwachs. Damit wird einerseits die Reibung zwischen den eingedrehten (tordierten) Strängen untereinander bei Be- und Entlastung verringert und anderseits das Eindringen von Feuchtigkeit und Schmutz zwischen den Fasern verhindert. Einige wenige Hersteller beschichten ihre Stränge bereits bei der Herstellung, somit steht dem Sehnenbauer ein wartungsfreies Material für den Sehnenbau zur Verfügung.
Ich habe bis jetzt nur über Sehnen und Steuerkabel geschrieben. Es gibt aber noch ein paar Stellen mehr, bei denen spezielle Garne zur Verwendung kommen, hier ein Überblick:
Einer der bekanntesten Hersteller der Garne für den Sehnenbau ist BCY. Die bieten eine breite Palette unterschiedlichster Garne, die im Sehnenbau Anwendung finden. Eines der gängigsten Sehnengarne ist wohl BCY 452X welches bereits in den 1970iger Jahren entwickelt wurde. Mittlerweile gibt es eine modernere Version, welche die Bezeichnung BCY 454 trägt und von vielen bekannten Sehnenherstellern wie GAS Bowstrings oder ABB verbaut wird.
Bloodline Fibers, ein noch recht junges Unternehmen, ist mit einem hochwertigen Sehnenmaterial auf den Markt gekommen, dass aufgrund der Materialeigenschaften und der Beschichtung der Fasern nicht mehr nachträglich gewachst werden muss. Diese, und noch weitere, recht positive Eigenschaften des Garns nutze ich zurzeit selbst, um präzise, leistungsstarke und sehr verschleißarme Sehnen und Steuerkabeln für Compoundbögen zu bauen.
Bei modernen Sehnen ist es mittlerweile Standard, dass sich diese, auch unter immer wiederkehrender Belastung, nicht soweit dehnen, dass es einen merkbaren Einfluss auf die Schuss- und Trefferleistung des Bogens hätte. Dasselbe gilt auch für äußere Einflüsse wie Temperaturwechsel oder Feuchtigkeit.
Wenn sich aber eine Wicklung löst oder einzelne Stränge der Sehne stark abgerieben oder gar abgerissen sind, so kann sich das merkbar auf die Performance einer Sehne auswirken, ganz zu schweigen von der möglichen Gefahr eines kompletten Sehnenrisses, welcher auch eine hohe Verletzungsgefahr für den Schützen birgt. Warum aber kann sich so eine Veränderung der Sehne oder der Steuerkabel auf die Performance des Bogens auswirken? Es ändert sich der Durchmesser und / oder die Länge der Sehne oder des Steuerkabels, wodurch das Timing der Cams (absolut synchrone Bewegung beider Cams) beeinflusst werden. Stimmt das Timing nicht mehr, „reitet“ der Nockpunkt an der Sehne beim Entspannen auf und ab (nock travel) und ein akkurater Pfeilflug ist damit nicht mehr möglich.
Nun zum Thema Wicklungen und end-loops.
Genauso wie beim Sehnengarn gibt es auch beim Wickelgarn verschiedenste Anwendungsbereiche. In der Regel werden zwei verschiedene Wickelgarne an Sehnen und Steuerkabeln verwendet. In der Mitte der Sehne, da wo der Pfeil eingenockt wird, kommt eine sehr starke Beanspruchung auf das verbaute Material zur Wirkung (Reibung, extreme Beschleunigung und Abbremsung, starke Knickung im Vollauszug bei gleichzeitigem Verformungsdruck durch die Nocke des Pfeils, punktuelle Einschnürung durch das loop, usw.). Dieser Teil wird Mittelwicklung (center-serving) genannt. An dieser Stelle wird ein sehr starkes und reißfestes Material für die Wicklung verwendet, welches im Durchmesser üblicherweise auch dicker ist. Die Wicklung muss so fest sein, dass sie sich nicht verschieben kann. Das Garn muss aber trotzdem flexibel sein, da es sonst mit der Zeit brechen würde.
Desweitern verwendet man ein etwas dünneres Garn für die Schutzwicklungen der Sehne und Steuerkabel an den Cams und Modulen. Module werden die auswechselbaren Kurvenscheiben genannt, die bei den meisten Bögen moderner Bauart seitlich am Cam verschraubt sind. Damit kann, üblicherweise in 5 Pfund Schritten, das Zuggewicht des Bogens erhöht oder verringert werden. Werden die Module durch „stärkere“ oder „schwächere“ getauscht, wird auch die Sehne mehr oder weniger vorgespannt. Dadurch kann sich, bei schlechten oder schadhaften Sehnen auch die Position des Peep verändern. Jedenfalls aber ändert sich die Position der Seilklemme, mit der das Steuerkabel von Fall-away Pfeilauflagen an einem der Kabel befestigt ist. Hier besteht die Gefahr, dass die Pfeilauflage nicht mehr rechtzeitig abgeklappt wird und dadurch den Pfeilflug negativ beeinflusst oder, im ungünstigsten Fall, durch den vorschnellenden Pfeil sogar zerstört wird.
Ein weiterer Bereich, der durch servings geschützt werden muss, ist der Bereich an den Steuerkabeln, der beim Spannen des Bogens aus dem Bogenfenster gezogen werden muss. Das geschieht mit einem am Mittelstück des Bogens (riser) befestigten, gekröpften oder schräg eingesetzten Gestänge (cable-rod), auf dem entweder Kugellager (rolergards) oder ein Gleitstein aus Kunststoff (cable-slide) die Steuerkabel aus dem Bogenfenster zieht.
Auch die Schlaufen am Ende von Steuerkabeln und Sehnen (end-loops) sollten sauber ausgearbeitet sein. Man unterscheidet hier zwischen gewickelten und geknüpften end-loops. Ob gewickelt oder geknüpft, hängt von der Art des Sehnengalgens ab, auf dem diese gefertigt werden. Auf einem Sehnengalgen mit vier Bolzen (four-post) entstehen gewickelte end-loops und auf einem Sehnengalgen mit zwei Bolzen (two-post) entstehen gespleiste oder geknüpfte end-loops.
Beide Techniken eignen sich hervorragend für Compoundbögen, da sie das darunterliegende Sehnenmaterial gut schützen. Heutige qualitative Sehnen haben zwischen 24 und 32 Strängen, je nach Material bei Compoundbögen und bei traditionellen Bögen zwischen 14 und 16 Strängen (weil dickeres Garn). Vor Sehnen, bei denen man am end-loop die einzelnen Stränge zählen kann (weil kein Serving darüber gelegt wurde) würde ich persönlich abraten. Die funktionieren zwar oft, bergen aber als Fehlerquelle eine Beschädigung im rauen Einsatz, die man durch den Kauf von besser verarbeiteten Sehnen vermeiden kann.
An den Sehnen der meisten modernen Compoundbögen sieht man mittlerweile sogenannte Speedbuttons. Das sind die dickeren Stellen oben und unten, kurz bevor die Sehne im Ruhezustand in die Cams einläuft. Meist sind das kleine Silikongummipfropfen oder Messingnockpunkte, die unter Schrumpfschläuchen versteckt sind. Diese dienen dem sauberen Aufspulen der Sehne nach dem Lösen des Pfeils auf die Cams. Da die Sehne durch diese Maßnahme sehr sauber aufrollt, kann dadurch in etwa 7-8 Feed per Secound (fps) an Geschwindigkeitsleistung zusätzlich aus dem Bogen abgerufen werden.
Vergleichen kann man das am besten mit einem Senklot an einer Maurerschnur. Durch das Gegengewicht wird die Maurerschnur beim Einholen sehr sauber und ohne Verwindungen aufgespult.
Ein weiteres Bauteil, das bei manchen Bogenherstellern an den Sehnen angebracht wird, sind die Geräuschdämpfer. Diese sollen, neben der Verminderung des hörbaren Sehnenschlags, auch noch Vibrationen dämpfen. Dadurch wird der Bogen wieder etwas langsamer, da diese Geräuschdämpfer einen gewissen Widerstand erzeugen.
Ich denke, das wären die wichtigsten Punkte rund um die Sehnen und Steuerkabel an modernen Bögen. Abschließen möchte ich mit einem Vergleich. Ähnlich, wie wenn man bei einem Rennwagen billigstes Motor- und Getriebeöl einfüllen würde, ist es, wenn an der Sehne des Bogens gespart wird. Setzt man hier auf hochwertiges Material und professionelle Verarbeitung, dann kann der Bogen problemlos funktionieren.