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Categories: Autoren, Ruan Hinze

Einleitung

Langsam wechselt das Rotwild-Rudel von links an; die ersten sind bereits am Baum 50m von mir angekommen, mein Versteck hinter dem kleinen Busch war gut ausgesucht, noch haben die mich nicht mitbekommen, auch der wind ist perfekt – alles kommt so langsam zusammen. mein Herz rast mit 180 Sachen, mit jedem Schritt, den das wild näher kommt, schlägt mein Herz noch schneller, bis auf meinen Herzschlag kann ich sonst kaum was hören.

Das Rotwild Tier äugt in meine Richtung (Symbolfoto)

Das erste Stück

Ein junges Tier kommt auf mich zu und stoppt am Stein, den ich vorher auf 30 Meter gemessen habe. Es äugt in meine Richtung, ich verharre wie eine Statue, traue mich nicht einmal zu blinzeln, mein Herzschlag völlig außer Kontrolle. Lange Sekunden werde ich angestarrt, aber die Tarnung scheint zu funktionieren und das Tier beginnt weiter zu äsen. Auf diesen Moment habe ich gewartet.

In Zeitlupen-Tempo hebe ich den Bogen, die 70 Pfund spüre ich kaum, den Bogen gespannt und dann… Filmriss. Als nächstes sehe ich wie der Pfeil gut 20 Zentimeter über den Rücken des Tiers fliegt und ich höre, wie er in der Ferne einschlägt. Um mich herum bricht die Hölle los, es waren weitere Stücke hinter mir angewechselt – keine zehn Meter entfernt. Alle suchen jetzt das Weite und binnen Bruchteilen von Sekunden ist die ganze Bühne wieder leer.

Ich bleibe sitzen, verstehe die Welt nicht mehr, ein Jahr lang habe ich mich auf diesen Moment vorbereitet, unzählige Stunden auf den Parcours verbracht, das Schießen aus verschiedene Positionen trainiert, 50 Meter oder 60 Meter, immer flog der Pfeil perfekt, und jetzt habe ich ein Stück Rotwild auf nur 30 Meter komplett verfehlt. Nach langer Suche finde ich meinen Pfeil wieder, er ist um einiges weiter geflogen, als ich erwartet hatte und er hat genau einen Stein getroffen, der Broadhead ist ziemlich verbogen. Sonst ist am Pfeil nichts dran, kein Schweiß, keine Haare, nichts….

Was ist nur hier passiert?

Das Jagdfieber hat zugeschlagen und zwar so richtig. Jagdfieber habe ich fast immer bei größerem Wild, was ja an sich nichts Schlimmes ist, sondern für mich sogar der Beweis, dass ich mir der großen Verantwortung bewusst bin. Jedoch ist es völlig anders, 100 Meter mit der Büchse entfernt zu sein, oder mit dem Bogen mitten drin. Im Training habe ich alle mir bekannten Eventualitäten durchgespielt und dachte, ich wäre auf alles vorbereitet.

Was passiert im Körper, wenn uns das Jagdfieber erwischt?

Der Auslöser ist das Hormon Adrenalin, das die Sauerstoffversorgung des Organismus stark verbessert. Durch die Adrenalin-Ausschüttung beschleunigt sich der Herzschlag, der Atem geht schneller, Pupillen und Bronchien weiten sich. Der Sauerstoffgehalt im Blut nimmt zu – hierdurch sind wir bestens für einen Notfall vorbereitet, wir sind bereit, zu kämpfen oder zu flüchten.

Und wie wird man dieses Jagdfieber wieder los?

Genau diese Frage habe ich mir auch gestellt, da nur noch 1,5 Jagdtage übrig waren und ich noch keinen Jagderfolg hatte. Doch Tatsache ist: Das Jagdfieber wird man nicht los, außer man hört mit dem Jagen auf. Da wir es also nicht loswerden können, müssen wir lernen, damit umzugehen. Wenn der Körper unter dem Einfluss von Adrenalin steht, fällt es schwer, komplexe Aufgaben zu meistern, und das präzise Treffen mit einem Jagdpfeil ist eine komplexe Aufgabe. Die gute Nachricht: Unter großem Stress können wir kleine, weniger umfangreiche Aufgaben sehr wohl erfolgreich meistern. Daher müssen wir den Schussablauf in kleine einfache Schritte aufteilen, und vor dem Schuss diese mental abarbeiten.

Ein Spickzettel am Bogen angebracht kann helfen, Schussfieber zu kontrollieren

Meine Checkliste

  • Meine Checkliste
  • 1. Atmen
  • 2. Bogen spannen
  • 4. Pins von oben abzählen, beim Richtigen anhalten
  • 5. Ziel aussuchen (ein möglichst kleines am Wildkörper)
  • 6. Atmen
  • 7. Den Pin von Punkt 4 auf das Ziel von Punkt 5 setzen
  • 8. Nur wenn der Pin stabil aufs Ziel bleibt, geht der Zeigefinger zum Abzug.
  • 9. Langsam am Abzug ziehen –immer weiter zielen

Wichtig ist, sich ganz auf das Ziel zu konzentrieren und nicht zu versuchen, dem Pfeil zu folgen, sobald der Pfeil den Bogen verlassen hat. Wenn wir uns weiterhin auf das Ziel konzentrieren, ist das Risiko geringer, den Bogen zu früh fallen zu lassen.

Und jetzt die Frage, funktioniert dieser mentale Trick?

Lange musste ich nicht warten, um dies ausprobieren zu können. Bereits am nächsten Tag saß ich im Treestand und nach kurzer Zeit wechselten drei Stück Rotwild in meine Richtung. Das Herzrasen ging wieder los und es dauerte eine halbe Stunde, bis das Wild in Schussdistanz war. Ich hatte also genug Zeit, um mich mental vorzubereiten. Noch war das Stück jedoch von einem Ast verdeckt, aber ich konnte sehen, dass das Jungtier in den nächsten Sekunden hinter dem Baum in etwa 30 Metern Distanz herauskommen würde. Also war es Zeit, mit der Checkliste zu starten: Ich atmete, spannte den Bogen, richtete das Visier aus, und zählte die Pins. Jetzt kam aber ein Problem hinzu, das Tier stand spitz und bewegte sich nicht, also blieb nichts anders übrig als zu warten. Zwei lange Minuten später stand ich immer noch mit dem gespannten Bogen da, aber ich war um einiges ruhiger geworden. Dann drehte sich das Tier und stand breit. Also ging es weiter mit der Liste, schnell hatte ich einen Fleck auf dem Blatt ausgewählt und schon war der 30er-Pin drauf. Jetzt noch einmal atmen und langsam den Druck auf den Abzug erhöhen.

Der glückliche Jäger

Swack!

War das Nächste, was ich hörte, als ich sah, wie der Pfeil den Baum hinter dem Tier traf. Aber ich konnte deutlich einen Einschuss sehen, aus der Schweiß trat. Das Tier flüchtete und brach nach 40 Metern zusammen. Es war vorbei, ich hatte alles richtig gemacht! Freude und Erleichterung wechselten sich ab. Nach einigen Minuten ging ich zur Anschussstelle; überall Schweiß.

Später beim Aufbrechen bestätigte sich, was ich bereits wusste, das Herz war sauber durchschossen. Leider ergaben sich bis zum Ende der Reise keine weiteren Gelegenheiten. Auch wenn der ersehnte Dammhirsch sich bei mir nicht blicken ließ, war ich glücklich, ich hatte Einiges dazu gelernt, und werde diesen Ablauf fest im Training am Parcours integrieren.