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Categories: Autoren, Helmut Polak

Einleitung

Die Jagd – vom Ansitz bis zur schweißtreibenden Bergpirsch – ist meist mit sportlicher Aktivität im freien Gelände verbunden, egal, mit welchem Gerät gejagt wird. Die körperbetonte Aktivität ist für den menschlichen Organismus gesund, wenn keine Einschränkungen oder Vorerkrankungen vorliegen und die Intensität dem jeweiligen Fitnesszustand angepasst wird. Trotzdem gibt es Gefahrenquellen einer Verletzung, auch bei der Jagd mit Pfeil und Bogen.

Bei der Jagd von erhöhten Sitzen besteht Sturzgefahr

größte Gefahrenquelle

Die wohl größte Gefahrenquelle für einen Bogenjäger ist zweifellos der Treestand, denn ein Sturz beim Auf- oder Abbaumen sowie beim Freimachen des Schussfeldes ist meist mit schweren Verletzungen verbunden. Laut einer US-Studie im Bundesstaat Wisconsin aus den Jahren 2009 bis 2013 schwankte die durchschnittliche Anzahl von klinischer Behandlung von verletzten Bogenjägern nach Stürzen vom Treestand zwischen 6 (2009) und 3,6 (2013) pro 10.000 Jagdlizenzinhabern.

77 Prozent der Stürze passieren dabei beim Abbaumen, weil der Bogenjäger nach langem, bewegungslosen Ausharren klamm ist und meist in der Dunkelheit vom Baum steigt.

Ob diese Studie 1:1 auf den deutschsprachigen Bogenjäger übertragbar ist, kann nicht beantwortet werden, da nur rund ein Drittel der befragten amerikanischen Bogenjäger eine Absturzsicherung getragen hatten. Bei uns fehlt meines Wissens nach eine derartige Studie, ich denke aber, dass die Verantwortung bei der Selbstsicherung bei uns deutlich höher ist. Neben seltenen, tragischen Fällen einer Querschnittlähmung oder gar des Todes überwogen Frakturen von Beinen und Armen.

Auslösen der Rettungskette

Gleich vorweg und gültig für alle Situationen: Erste Hilfe bedeutet immer zuerst das Auslösen der Rettungskette. Wenn keine weitere Person zur Verfügung steht, muss damit begonnen werden, die Verletzung selbst zu behandeln. Bei gröberen Prellungen von Gelenken oder Knochenbrüchen muss geschient werden. Dabei ist es besonders wichtig, dass die Schienung über die angrenzenden Gelenke hinaus stabil angelegt wird. Das Ziel muss eine Stabilisierung sein. Seltene, offene Brüche müssen zuerst mit möglichst sterilem Material abgedeckt werden. Das Mitführen eines sauber verpackten Dreiecktuches ist vorteilhaft. Dieses kann sowohl zum Abbinden, Abdecken, wie auch als Trageschlaufe verwendet werden.

Broadheads und Messerklingen der Jäger sind in der Regel sehr scharf

Eine weitere Gefahrenquelle bei unsachgemäßer Handhabung stellen vor allem die scharfen Klingen an Broadheads und Messern dar. Ebenso geht von splitternden Carbonpfeilen eine gewisse Gefahr aus. Ist erst einmal eine Hand mit diesen Splittern perforiert, so können diese nur chirurgisch entfernt werden. Tipp: Steril abdecken und zum nächsten Arzt.

Die wohl größere Gefahr droht beim Aufbrechen/Zerwirken von Wild oder beim Schleifen der Klingen. Glatte Schnittverletzungen sind, so sie keine größeren arteriellen Blutgefäße verletzen, relativ harmlos und können durch Verkleben mit kräftigem Klebeband provisorisch versorgt werden. Stichverletzungen in Arterien (spritzende Blutung) müssen durch kräftiges Abdrücken oberhalb der Stichstelle (herznahe) raschest versorgt werden. Danach sollte mit breiterem Material (Gürtel, Dreieckstuch) und einem Widerlager (zusammengefalteter Kompresse, Feuerzeug) ein Druckverband angelegt werden. Bei längerer Dauer der Rettungskette muss zwischendurch der Verband kurz gelockert werden um ein Absterben der Gliedmaßen zu verhindern. Sollten Körperteile (Finger, Zehen) amputiert worden sein, müssen diese in einem möglichst sauberen Behälter (Einmalhandschuh) kühl gelagert und mitgenommen werden.

„Vom Wild angenommen! Vor diesem Szenario ist kein Jäger gefeit.“

Bogenjäger und Mediziner Dr. Helmut Polak

Der Sehnenschlag auf einen ungeschützten Unterarm, ausgeführt von einem Compoundbogen mit 60 Pfund oder mehr, kann zu äußerst schmerzhaften und großflächigen Hämatomen führen. Kühlung, Einreiben mit Heparinsalbe und Schmerzstillung mit antientzündlichen Medikamenten reichen in den meisten Fällen aus.

Das Aufwärmen der später beanspruchten Muskelgruppen ist eigentlich Standard. Beim Bogenjäger geht das in der Regel nicht. Nach meist langem Ansitz in der Kälte soll der Bogen geräuschlos gespannt werden. Ist der Jäger nicht ausreichend trainiert oder schießt schlicht und ergreifend einen zu starken Bogen, kann es zu Ein- und Abrissen von Sehnen im Schulterbereich führen. Hier ist eine Armschlinge zur Ruhigstellung (Dreieckstuch) die primäre Versorgungsmöglichkeit.

Ein Moschusochse nimmt den Bogenjäger in Grönland an

Vom Wild angenommen!

Vor diesem Szenario ist kein Jäger gefeit. Allerdings kann sich der Büchsen- oder Flintenjäger oft durch einen schnell angetragenen Fangschuss retten, was beim Bogenjäger in Ermangelung einer Feuerwaffe nicht funktioniert. Nebenstehendes Foto zeigt einen Jagdkammeraden, der durch einen wütenden Moschusochsen in Grönland in arge Bedrängnis gerät. Glücklicherweise ging dieses Abenteuer glimpflich für ihn aus und er konnte den Moschusochsen nach dieser Schrecksekunde in Besitz nehmen. So etwas passiert nicht oft, zu 100% hat man aber so eine Situation nie in der Hand. Verletzungen können Stiche und Schürfungen durch Hörner oder Geweihe, Brüche oder Quetschungen durch Stoßeinwirkung oder Zerfleischungen durch Zähne und Krallen sein.

Hier besteht vor allem die Gefahr durch Wundinfektion. Als Erstmaßnahme ist das Säubern und Ausspülen der Wunde mit sauberem Wasser oder anderen Flüssigkeiten, (nötigenfalls auch mit eigenem Urin) unbedingt notwendig und darauf folgend ein sauberes Abdecken. Danach sollte ein möglichst rascher Transport ins nächste Krankenhaus erfolgen. Aus meiner Praxis möchte ich hier anmerken, dass auch kleinste Verletzungen durch Bisse oder Kratzer oft erhebliche Infektionen bedingen, die unbedingt antibiotisch behandelt werden müssen.

Erste Hilfe Paket

Ein allgemein gültiges Erste Hilfe Paket gibt es leider nicht und kein Waidmann, egal ob Büchsen- oder Bogenjäger, kann aus der Verpflichtung genommen werden, sein Paket für den jeweiligen Zweck anzupassen, um sich und Anderen effektiv Erste Hilfe leisten zu können. Trotzdem habe ich es versucht, zwei Pakete, einmal das Basispaket, sowie ein erweitertes für mehrtägige Jagdreisen, zusammen zu stellen.

Das tägliche Basispaket

Dieses Erste Hilfe Paket sollte bei jedem Ausflug mit dem Bogen, sei es zum Training oder der Jagd, gut sichtbar immer „am Mann“ sein. Das dient einerseits dem schnellen Zugriff im Bedarfsfall, anderseits sollte eine hinzukommende Person dem Verunglückten auch bei Bewusstlosigkeit schnell mit dem sichtbar getragenen Paket zu Hilfe kommen können. Bewährt hat sich, dieses Paket an einem über der Jacke getragenen Gürtel zu befestigen.

Gut sichtbar sollten Namen, Geburtsdatum und die Telefonnummer einer Vertrauensperson und nach Möglichkeit die Blutgruppe sowie eventuelle Allergien eingetragen sein. Als Inhalt sollte mindestens eingepackt sein:

Das Erste-Hilfe-Paket sollte bei der Jagd immer dabei sein

  • 1 Rolle mind. 3 cm breites Leukoplast (kann auch als Tapeverband bei Verstauchungen verwendet werden)
  • 3 sterile Tupfer 10×10 cm (Abdecken oder als Wundkompressen)
  • 1 Dreieckstuch
  • 2 Paar Einweghandschuhe
  • 2 Rollen Mullbinden mit 10cm Breite
  • Schmerztabletten
  • 1 Nadel (Splitterentfernung, Blasen oder Nagelhämatome aufstechen)
  • 1 Aludecke (wenn unterzubringen, herausgeschnittene Teile davon können auch zur Wundabdeckung verwendet werden)

Das Wichtigste ist aber die wasserdichte und hygienische Verpackung dieser Utensilien.

Das erweiterte Erste Hilfe Paket bei mehrtägigen Jagdreisen

Ergänzend zum Basispaket empfehle ich für mehrtägige Reisen folgend:

  • Augentropfen antibiotisch
  • Desinfektionslösung zb. Betaisodona
  • Tabletten gegen Durchfall und Fieber
  • Heparinsalbe (gegen Hämatome)
  • Antibiotische Wund- und Heilsalbe (z.B. Betaisodona)

Das ist die Basisbestückung der Reiseapotheke, die je nach Reiseziel und gesonderter Herausforderungen individuell erweitert werden muss. Jeder Bogenjäger wie prinzipiell jeder, der sich in der freien Natur aufhält, sollte im eigenen Interesse gegen Wundstarrkrampf-Tetanus und FSME (Hirnhautentzündung durch Zecken) geimpft sein. Regelmäßige Auffrischungen beziehungsweise Überprüfung des Impfstatus sind dringend anzuraten.